Marathon und vergessene Welt

New Plymouth und
Tongariro National Park (260 km)

Heute Morgen klingelt um 5:00 Uhr der Wecker, denn wir müssen eine Stunde später schon beim Bus sein, der uns zum Marathonstart bringt. Also schnell ins Bad, die Laufklamotten anziehen, Frühstücken und ab geht ’s zum Quality Hotel, dem Sammelplatz für alle Läufer.

Dort herrscht bereits reger Betrieb. Es scheint, dass hier jeder jeden kennt, na ja, fast. Der „Mountain to Surf – Marathon“ ist eine sehr kleine, fast familiäre Veranstaltung, und so laufen vorwiegend Einheimische, aber halt auch so „Exoten“ wie wir. Es ist noch stockdunkel, als wir mit dem Bus durch die Straßen fahren, und es ist sternenklar. Wir sehen zum ersten Mal das Sternbild „Kreuz des Südens“ und ich bedauere schon, dass ich meine Kamera nicht dabeihabe (klar, wo soll man mit der hin während eines Laufs). Noch viel mehr wurmt mich das, als wir am Fuße des Mount Taranaki ankommen, ein wunderschön gleichmäßig geformter Stratovulkan, der, während der Sturm die vergangenen zwei Tage getobt hat, eine neue Schneehaube bekommen hat. Und das im neuseeländischen Sommer! Alle, auch die Einheimischen, schauen andächtig zu dem malerischen Berg. Uns bleibt nur, ein paar Schnappschüsse mit Wolfgangs iPhone zu machen.

Es ist ein illustres Völkchen, das sich da am Fuße des Taranaki zum Marathon eingefunden hat: wie gesagt, viele Neuseeländer, teils äußerst gewagt gekleidet, aber z.B. auch Australier. Einer quatscht mich einfach an, fragt, woher wir so kommen, „ach was, Germany, cool extra für den Marathon?“ Ich verneine und erkläre, dass das halt einfach so in unsere Reiseplanung gepasst hat. Ja und so geht das munter weiter. Der Race-Director erinnert eine viertel Stunde (!) vor Laufbeginn daran, dass diejenigen, die noch keine Startnummer haben, sich doch bitte mal melden sollen. Die Coolness der Kiwis ist unglaublich!


Auch der Startschuss um 7:15 Uhr ist erwähnenswert: ein Mann baut sich mit einem doppelläufigen Vorderladergewehr vor der Läuferschar auf, einige von denen scherzen noch, er solle ja ordentlich zielen, und schon kracht der Schuss in die Morgendämmerung. Lautstark angefeuert von einigen Angehörigen machen sich die Marathon- und Teamläufer auf den Weg ins Tal. Ich bleibe noch vor Ort, denn Neil, der Race-Director, hat mir eine Mitfahrgelegenheit in einem der Servicewagen organisiert. Also warte ich geduldig, bis die Männer das Start-Banner wieder abgebaut haben, helfe mit beim Müll einsammeln und dann geht ’s im Kleinbus der Läufergruppe hinterher. Irgendwann entdecke ich Wolfgang. Michael, mein Fahrer, fährt zunächst vorbei und hält dann an, damit ich Wolfgang anfeuern kann. Echt nett! Dann fahren wir langsam neben den Läufern her weiter auf der kleinen Straße nach Inglewood, die Stadt, in der der Wechsel der Teamläufer stattfindet (bei Km 21). Auch Wolfgang und ich bilden so ein Team, wobei wir um „Erlaubnis“ gebeten haben, dass Wolfgang nicht bei der halben Distanz aussteigt, sondern mit mir weiterlaufen darf. Und so machen wir es auch.

Nach exakt 1 Std 50 min läuft Wolfgang in die Wechselzone und ab hier sind wir zu zweit unterwegs. Ich bin einigermaßen aufgeregt, denn das ist seit vier Jahren mein erster Halbmarathon und die Vorbereitung verlief in den letzten Monaten verletzungsbedingt eigentlich miserabel. Aber ich versuche es trotzdem. Mittlerweile steht sie Sonne hoch am Himmel und strahlt mit voller Kraft. Typisch, wenn wir einen Wettkampf haben, dann ist eigentlich immer zu gutes Wetter. Der zweite Streckenabschnitt ist nun eher abschreckend. Lief die erste Hälfte größtenteils über kleine Sträßchen immer mit Sicht auf den Vulkan, so laufen wir jetzt entlang der Hauptstraße nach Waitara, dem Zielort. Und diese Straße ist wohlgemerkt nicht gesperrt, der Verkehr läuft in beide Richtungen, lediglich ein paar Hinweisschilder bedeuten den Fahrern, langsam an den Läufern vorbeizufahren. In Deutschland wäre so was undenkbar. Mich stört das eigentlich nicht weiter, denn ich bin voll und ganz aufs Laufen konzentriert, will nur ankommen. Bei Km 33 passiert dann das, was Wolfgang schon erahnt hat: er bekommt Krämpfe und kann zunächst mal nicht mehr weiter. Also bin ich ab jetzt alleine. Aber das ist man eigentlich nicht wirklich. Trotz der kleinen Läuferzahl findet sich immer mal wieder jemand, mit dem man auf der Strecke quatschen kann. So geht die Zeit einigermaßen schnell rum und ich laufe genau nach 4 Std. Gesamtzeit über die Ziellinie am Strand von Waitara. Dort ist in einem kleinen Park der „Runners Heaven“ (Versorgungsstation nach dem Lauf) aufgebaut. Man bekommt Bananen, Melonen und Säfte. Masseure stehen bereit, um den leidgeplagten Läufern die müden Beine zu lockern. Michael entdeckt mich im Zielbereich und gratuliert zum erfolgreichen Lauf, wundert sich allerdings, wo Wolfgang geblieben ist. Als ich ihm gerade erkläre, dass der Krämpfe hatte und ich nun auch nicht weiß, wie er zum Ziel kommen wird, sehe ich Wolfgang ankommen. Na Gott sei Dank! Er hat es doch geschafft! Die immer wieder auftretenden Krämpfe hat er mit Dehnpausen erfolgreich bekämpft, doch jetzt ist er wirklich erledigt und ein Fall für den Masseur.

Nach zwei Stunden im Zielbereich, ausreichender Stärkung und netten Gesprächen mit Läufern, denen wir auf der Strecke begegnet sind, fahren wir mit dem Shuttlebus zurück nach New Plymouth. Eigentlich wäre jetzt Frischmachen angesagt, um ab 15:00 Uhr mit allen Läufern zusammen zu feiern. Doch wir haben schweren Herzens unsere Planung geändert: da für Morgen bestes Wetter im Tongariro National Park angekündigt ist, wollen wir uns noch heute auf den Weg dorthin machen. Wir holen im Motel unsere Koffer ab und fahren auf dem State Highway 4 Richtung Süden nach Stratford. Von hier zweigt eine Straße mit dem vielversprechenden Namen „Forgotten World Highway“ Richtung Nordosten nach Taumarunui ab. Warum es sich um eine vergessene Welt handelt, wird ziemlich schnell klar: die kurvige Straße windet sich ab hier auf 150 Km durch hügeliges Buschland, Farmland und durch Waldgebiete und führt über vier Sättel. An der Strecke gibt es nur drei winzige Ortschaften, ein paar Farmen und keine Tankstelle! Deshalb haben wir vorher nochmals vollgetankt. Die Straße bietet immer wieder traumhafte Ausblicke auf, die sich ständig verändernde Landschaft und ganz am Ende können wir einen Blick auf unser Ziel erhaschen: den Tongariro National Park mit seinen teilweise noch aktiven Vulkanen.

Um 18:00 Uhr kommen wir ziemlich platt an unserem Hotel „Bayview Chateau Tongariro“ an. Zum Glück ist auch schon heute ein Zimmer für uns frei (wir haben ja eigentlich erst für morgen gebucht). Schnell bringen wir unser Gepäck auf eines der 106 Zimmer, gönnen uns die längst überfällige Dusche und finden uns punkt 19:30 Uhr zum Dinner im Salon ein. Unser Quartier für die kommenden drei Tage ist schon recht außergewöhnlich: das 1929 eröffnete Hotel ist im Stile eines klassischen europäischen Herrenhauses gehalten und hat sich trotz Renovierungen seinen altertümlichen Charme weitestgehend bewahrt. Es gibt mehrere Salons (in einem steht ein Snooker-Tisch!), ein Kino, Bar, Café, Golf- und Tennisplatz. Eigentlich wollen wir hier ja nur wandern und brauchen den ganzen Klimbim nicht. Aber dieses Haus ist die einzige Unterkunft weit und breit und steht wie hingemalt am Fuße der Vulkane! Also: dann halt mal Luxus die nächsten drei Tage. Todmüde wie wir sind, wäre uns heute allerdings jedes Bett recht gewesen. Und da wir so erledigt sind, gibt ’s den Bericht erst Morgen.

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