Hendriks Kraal

Wie gut, dass wir in Mukuku nicht campen, sondern ein Haus haben, denn heute Nacht hat es geregnet und auch ein wenig gewittert. Blitz und Donner und Regen im Dachzelt, darauf konnten wir gerne verzichten. Wir haben bestens geschlafen bis uns eine unglaubliche – man muss fast schon sagen – Lärmkulisse aus dem Schlaf riss. Nicht etwa Baumaschinen oder startende Düsenjets verursachten den Lärm, sondern eine Unzahl von Vögeln, die alle zur gleichen Zeit zu Höchstform aufliefen und aus vollen Vogelkehlen „tirilierten“. Man glaubt es nicht, wenn man es nicht selbst gehört hat. Ich konnte nach diesem Wecken weiter schlafen – Andrea hat ein E-Book gelesen bis zum Frühstück.

Wie schon gestern berichtet, ist Hannes, der Eigentümer des Mukuku Camp, bestens bekannt und wohl auch angesehen in der Region. Daher hat er die Möglichkeit, uns mit einer Familie der „local community“ bekannt zu machen, die uns ihren Kraal zeigt und über ihre Lebensumstände erster Hand berichten kann. Diese Chance, authentisch ein Stück Afrika kennenzulernen und nicht nur eine touristisch-folkloristische Vorstellung zu bekommen, lassen wir uns natürlich nicht entgehen. Hannes fragt bei der Familie an, die er dafür für geeignet hält. Das Familienoberhaupt, Veronica, ist einverstanden, obwohl ihr Mann, Hendrik nicht da ist, weil er vier Rinder zur Maul-und-Klauen-Seuche-Impfung bringen muss. Veronica hat nur eine Bedingung, nämlich dass keine Bilder von ihr im Internet erscheinen.

Um 10 Uhr fahren wir mit Hannes ins nahegelegene Dorf namens Mausivi, das aus mehreren Kraals besteht. Vor einem der Zäune, rechteckig und aus Holzstangen hergestellt, parkt er seinen Wagen.

Unter einem riesigen schattenspendenden Baum außerhalb des Kraals erwartet uns schon Martha zusammen mit ein paar Kindern. Martha ist eine der Kindergärtnerinnen und spricht gut Englisch. Sie soll uns verschiedene Dinge erklären und das, was Veronica, ihre „Mutter“, sagt, übersetzen, denn diese spricht weder Afrikaans noch Englisch, sondern nur ihre Bantu-Sprache. Hannes bringt das Gespräch in Gang und wir bekommen zunächst gezeigt, von welchen Früchten und Getreidesorten sich die Familie ernährt. Zusammen mit einer anderen jungen Frau demonstriert Martha uns, wie sie aus Hirse Mehl herstellen, indem sie es in einem Holzgefäß mit einem großen Holzstück stampfen, dann sieben und danach wieder stampfen und wieder sieben.

Wir bekommen die Monkey-Orange zu probieren, eine süß-saure gelbe Frucht, die auf den ersten Blick wie eine Orange ausschaut, aber damit nicht verwandt ist. Unter der relativ harten orangefarbenen Schale dieser tropischen Frucht befindet sich bräunliches Fruchtfleisch mit großen Kernen. Schmeckt gut!

Es sitzt mittlerweile ein großer Reigen von Kindern um uns herum. Aber auch eine weitere „Mutter“ von Martha ist dazugekommen und eine Frau aus einem anderen Kraal, die uns zeigen möchte, wie man eine andere Frucht öffnet. Dabei handelt es sich um so etwas wie eine Nuss mit sehr harter Schale und einem Geschmack, der an Erdnüsse erinnert.

Martha erklärt, dass sie neben ihrer biologischen Mutter auch noch weitere Mütter hat. Veronica ist eigentlich ihre Tante, die betagte Frau, die sich zuletzt zu uns gesellt hat, ist wohl – wie wir sagen würden – ihre Großmutter. Aber sie – und weiter Verwandte – seien ihre Mütter. Das sei übrigens nicht nur bei Martha so, sondern „ganz normal“, dass man viele Mütter hat.

An eine Wasserleitung, Abwasser oder ans Stromnetz ist der Kraal nicht angeschlossen. Wasser holt man sich vom Dorfbrunnen und trägt es auf dem Kopf in 20-Liter-Behältern in den Kraal. Ein kleines Solarpaneel erzeugt den Strom, den Martha für das Laden ihres Smartphones braucht. Andere Elektrogeräte scheint es in diesem Kraal nicht zu geben – vor allem keinen Kühlschrank.

Die Familie ernährt sich von den Früchten der umliegenden Bäume, dem Getreide, das sie neben dem Kraal auf einem Feld anbaut. Fleisch bekommen sie von den Hühnern und von dem Vieh, das sie großziehen. Da sie keinen Kühlschrank haben, verkaufen sie das Fleisch, das sie nicht selbst schnell verzehren können. Jobs, mit denen man darüber hinaus Geld verdienen könnte, gibt es so gut wie keine.

Wir bekommen die Erlaubnis, uns vom Schattenbaum außerhalb des Kraals nun auch in den Kraal hinein zu begeben. Im Kraal gibt es keine Bäume, da man ansonsten Blitzeinschläge oder herunterfallende Äste zu befürchten hätte. Martha erklärt uns die Bauweise der kleinen Hütten, in denen vor allem geschlafen, aber auch gekocht wird. Als Baumaterial verwenden sie u.a. aus Termitenhügeln herausgebrochene „Steine“.

Nach einer Stunde intensiver Eindrücke verabschieden wir uns von den Menschen aus Hendriks Kraal. Nun verstehen wir viel besser, wie die Leute hier leben, die wir ansonsten nur im schnellen Vorbeifahren mit unserem Camper am Straßenrand sehen.

Hannes macht auf dem Rückweg noch einen kurzen Stopp beim Kindergarten. Leider sind Ferien und keine Kinder da. Aber zwei Erzieherinnen (Teacher) mit Helferinnen sind im „Garten“ am Aufräumen. Gerne zeigen sie uns die kleinen Räumlichkeiten, die mit Hannes und Ansies Unterstützung gebaut wurden. Schnell wird uns klar: hier arbeitet jemand sehr strukturiert, um den Kindern eine Chance auf Bildung zu bieten. Die Räume der 4- bis 6-Jährigen erinnern uns eher an Klassenzimmer, als an die deutschen Kindergärten, denn Zahlen und Buchstaben, in ihrer Mutterspache und auf Englisch erklärt, hängen an den Wänden. Hannes berichtet, dass die Kinder aus diesem Kindergarten die am besten vorbereiteten seien, wenn sie in die Primary-School kommen.

Ab Mittag ist Relaxen angesagt, sprich: wir legen uns an den kleinen aber feinen Pool, lesen, dösen und Andrea geht auf Fotosafari (vor allem wegen der farbenprächtigen Paradiesschnäpper, die ein Nest in einem nahegelegenen Baum haben).

Wir kommen gerade vom erfrischenden Pool zurück und ich schreibe diesen Text mit Vorfreude auf das Abendessen, das Ansie gerade kocht. Ich denke, wir werden gemeinsam mit Ansie und Hannes zu Abend essen. Dann sind gute Gespräche garantiert!

Beim Abendessen waren zwei Themen vorrangig: die Vogelsichtungen gestern und heute, sowie Ansies und Hannes‘ Engagement für die Community. Die beiden sind die einzigen Weißen weit und breit und setzen sich ungemein und sehr feinfühlig für die schwarze Bevölkerung ein. Wir sind sehr daran interessiert, dieses Engagement zu unterstützen, auch mit eigenen Ideen, und werden mit den beiden in Kontakt bleiben.

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